Abschied vom Nachtleben



SÜDDEUTSCHE ZEITUNG: Filme von BettyMü gab es lange nur in Clubs zu sehen – jetzt entdeckt sie das Kunst-Publikum

München – Angefangen hat alles in New York. Da arbeitete BettyMü, die eigentlich Bettina Müller heißt, als Grafikdesignerin. Nebenbei filmte sie mit der alten Super-8-Kamera ihres Opas alles, was ihr unterkam, und zeigte das Material auf Partys von Freunden als Endlosschleife mittels Eigenkonstruktion mit Kleiderbügel am Projektor.

Das war vor sechzehn Jahren. Mittlerweile lebt BettyMü wieder in ihrer Heimatstadt München und zählt zu deren bekanntesten VJs (Visual Jockeys) – und ist eine der wenigen Frauen, die in diesem Bereich arbeiten. „Viele trauen Frauen da weniger zu“, sagt sie, „wegen der Technik, und auch, weil es natürlich hart ist, die ganze Nacht im Club zu stehen.“ Um 22 Uhr geht es los, vor sechs Uhr morgens ist die Party selten vorbei, dazwischen herrscht volle Konzentration.

BettyMü ergänzt als VJ die Musik des DJs um eine visuelle Komponente. Wie beim Auflegen passiert das live. Auf einer externen Festplatte hat sie ihre gesamte Clip-Sammlung dabei, etwa 3000 Dateien, geordnet nach Themen wie Pflanzen, Tiere, Wasser, Muster, sexy Girls, die sie passend zur Musik ineinander mischt. „Man muss sich auf den DJ einlassen und wahnsinnig schnell reagieren.“ Mit Richard Bartz war sie auf Tour, aus den gemeinsamen Auftritten entstand eine Live-DVD – und spätestens seitdem wird BettyMü, die in München meist im Harry Klein zu sehen war, bei Veranstaltungsankündigungen gerne „die Prinzessin der flackernden Synergien“ genannt.

Ein bisschen klingt das nach hyperaktivem Techno-Mädchen. Doch trifft man BettyMü in ihrem Büro in den Räumen einer ehemaligen Druckerei in der Goethestraße, das sie mit anderen Kreativen wie Fotografen, Grafikern und Programmierern teilt, dann begegnet man einer ruhigen, reflektierten 38-Jährigen, die von ihren Plänen erzählt, am Wochenende auf dem Land Frösche im Teich zu filmen.

BettyMü setzt jetzt mehr auf Nachhaltigkeit: „VJ-Kunst ist so vergänglich – du machst eine wunderschöne Video-Collage und schwupps, nach 30 Sekunden, ist sie wieder für immer verschwunden. Das ist schade.“ Die Videokünstlerin möchte sich in Zukunft stärker in Richtung Installation entwickeln – zumindest soweit ihr die normale Arbeit als Web- und Print-Designerin, mit der sie ihr Leben finanziert, noch Zeit dazu lässt.

Ihre erste Arbeit außerhalb von Clubs und Tanzflächen zeigte sie an einer Hauswand in Neuhausen. Mehr als vier Jahre hatte sie in München, New York, Berlin und Köln beleuchtete Fenster gefilmt, hinter denen die Bewohner zu sehen waren. Sie bastelte die Clips zusammen und projizierte sie an die kahle Brandmauer: Täuschend echt wurde so die Wand „bewohnt“, in jedem Fenster war etwas anderes zu sehen: ein spielendes Kind, Männer beim Kartenspielen, eine Frau beim Blumengießen. „Da habe ich richtig Blut geleckt und gemerkt, dass ich mehr in diese Richtung gehen möchte.“

Ihre aktuellste Arbeit hieß „BettyMüs Salon der Vielfältigkeit“ und war einen Monat lang im Nachtmuseum, dem temporären Club im Stadtmuseum, zu sehen. 33 Bilderrahmen hingen dort an einer Wand, die Betty über zwei Beamer bespielte. In jedem der Rahmen lief ein kleiner Film: bearbeitete YouTube-Clips, Ausschnitte aus B-Movies, Zeitrafferaufnahmen von Blüten, eigenes Material, das sie über Jahre gesammelt hat. Eine ganze faszinierende, lebendige Wand voll, die sich ständig veränderte, in üppiger Petersburger Hängung. „Ich habe mich von Salonmalerei inspirieren lassen. Mir gefällt es, wenn man Wände von oben bis unten mit Bildern zuhängt, das habe ich in meiner Wohnung auch“, erzählt BettyMü. „Außerdem wollte ich wegen des Orts das Thema Museum aufgreifen. Bilderrahmen verbindet man sofort damit. Ich habe durch die bewegten Inhalte noch den Faktor Zeit hinzugebracht und damit den normalen Rahmen gesprengt.“

Zumindest durch die Orte bleibt BettyMü ihrer Clubkarriere noch treu. Vor dem Nachtmuseum stellte sie ihre Arbeit „Wasserhasen“ im Puerto Giesing aus. „Diese Szenekunst passiert in München in letzter Zeit immer öfter. Ich finde es eine schöne Entwicklung, weil man Kunst an ein ganz anderes Publikum herantragen kann.“

Auch das herkömmliche Kunst-Publikum wurde auf BettyMü aufmerksam. Das Münchner Stadtmuseum war begeistert vom „Salon der Vielfältigkeit“ und erkundigte sich, erstmal ganz unverbindlich, nach dem Preis. Vielleicht schafft es die Kunst, die den Rahmen sprengt, doch bis ins Museum.

Judith Liere