Kann doch jeder



SÜDDEUTSCHE ZEITUNG :

(Von Andrian Kreye) Wenn das Münchner Sternelokal Tantris an diesem langen Wochenende das Jubiläum des fünfzig jährigen Bestehens feiert, wird die Digitalkünstlerin Betty Mü das tempelhafte Betongebäude im Norden von Schwabing ab dem Einbruch der Dunkelheit am Donnerstag drei Nächte lang von innen nach außen stülpen. Bildfragmente aus den psychedelischen Gasträumen, der Hightech-Küche und von den Tellern werden die denkmalgeschützten Fassaden in ein Mosaik verwandeln.

Mü ist dafür bekannt, Gebäude und Räume mit Licht, Laser und Projektionen in Traumwelten zu verwandeln. Sie produziert aber nicht nur Installationen, sondern auch Kunstwerke, die sich durch eine Handylinse in bewegte Skulpturen verwandeln, und natürlich NFTs, diese neuen Dateien, die im Internet als nicht reproduzierbare Einzelwerke geschaffen und für viel Geld verkauft werden. Am vergangenen Dienstag zeigte sie die in einer Gruppenausstellung, die weder in einem Museum noch in einer Galerie, sondern im Nachtclub Pacha präsentiert wurde. Man kann sich die Ausstellung auch im Internet ansehen. Die NFT-Galerie „xcircle“ hat dort un- ter der Adresse xcircle.io virtuelle Räume installiert.

 

„Was früher Pinsel und Leinwand waren, sind nun Smartpen und Internet.“

Und? Ist das Kunst? Diese Frage wurde seit 105 Jahren immer wieder hitzig diskutiert (…)

„Natürlich ist das Kunst“, sagt Betty Mü. „Was früher Pinsel und Leinwand waren, sind heute Smartpen und Internet, nur auf einem anderen Level. Interaktivität, Beamertechniken, 3-D, VR, AR – die Ausdrucksmöglichkeiten, die sich der Kunst durch die Digitalität eröffnen, sind überwältigend. Nach wie vor kommt es aber auf den einzelnen Künstler an, wie kunstsinnig er seine Werkzeuge einsetzt.“ 

Der Autor könnte sich nun selbst aus früheren Beiträgen als Digitalkunstverächter zitieren, weil sich ein Großteil der NFT- Kunst an einem Ästhetikbegriff abarbeitet, der in der Technik und der Vermarktung wurzelt. Allen voran der Grafikdesigner Beeple, der mit seinem Rekordverkauf vergangenes Jahr Schlagzeilen gemacht hat, die einer breiten Öffentlichkeit nahebrachten, dass NFT-Dateien mithilfe der Blockchain-Technologie zu Unikaten werden. Aber auch da ist Mü anderer Meinung: „Natürlich ist nicht alles, was NFT ist, auch Kunst. Aber die Blockchain ist die Galerie der Zukunft. Wichtig ist, dass die Kunst hier wie dort verantwortlich kuratiert und angemessen präsentiert wird.“

Man kann ihr nun unterstellen, dass sie in eigener Sache argumentiert. Aber auch das ist so eine Grundsatzfrage. Wer bestimmt denn, was Kunst ist? Die Künstler? Die Kuratoren? Die Historiker? Das Publikum? Hans Ulrich Obrist, der Kurator der Londoner Serpentine Gallery und Superconnector der Kunstszene, brachte neulich drei Superstars dieser neuen Kunstformen nach München, um sie auf einem Podium der Digitalkonferenz DLD zu versammeln. (…)